A_Juanita


Donna Juanita - 
die große Unbekannte

Der Titel ist zweideutig. Zum einen ist die 1880, nur ein Jahr nach Suppés großem Welterfolg Boccaccio uraufgeführte Operette Donna Juanita heutzutage völlig vergessen, zum anderen wurde schon im Jahre 1925 ein Rettungsversuch durch eine Neubearbeitung unter dem Titel Die große Unbekannte unternommen. Dabei wurde die Handlung, die sich ursprünglich in Spanien abspielte, nach Paris verlegt, was aber angesichts der doch stark spanischen Akzentuierung des Originals nicht gelingen konnte. So ist auch Die große Unbekannte weiterhin unbekannt geblieben.

Obwohl Donna Juanita bei der Uraufführung ein großer Erfolg beschieden war, wurde sie von der Presse sehr kritisch aufgenommen. Man bemängelte vor allem die kaum verhohlene Duplizität der Handlung mit Fatinitza. Auch hier spielt eine Frau einen Mann, der im Stück wiederum eine Frau darstellt. Diesmal ist es René, der Bruder des sich im spanischen San Sebastian in Kriegsgefangenschaft befindlichen französischen Captains Gaston Dufaure, der als Donna Juanita verkleidet allerlei Verwirrung stiftet. Als solchermaßen getarnter Spion trägt er letztlich dazu bei, dass das französische Revolutionsheer die englischen Besatzer aus dem spanischen Ort vertreiben kann. Der genaue Handlungsablauf kann in der Werkbeschreibung Donna Juanita nachgelesen werden.

Die Duplizität des Handlungsgerüstes ist insofern zu Fatinitza nicht eins zu eins, da in Fatinitza die Titelperson gleichzeitig Teil des Liebespaares ist, während Donna Juanita eigentlich in die Rolle des Helfers schlüpft, welche bei Fatinitza der Reporter Julian inne hat. In Donna Juanita gibt es dann aber noch einen oder zwei Helfer mehr, ein Umstand, den vermutlich Suppé Biograph H.D. Roser dazu veranlasste, von einer "sehr nervösen Dramaturgie der Operette" zu sprechen, "die offensichtlich helfen soll zu verschleiern, dass es sich nur um eine dislocalifizierte Version der Fatinitza handelt". Wie auch immer, das Publikum störte sich seinerzeit nicht daran und auch heutzutage sollte dies kein Problem darstellen, da man die Handlung von Fatinitza auch nicht mehr kennt.

Nach der Uraufführung erfolgte sehr schnell der internationale Zugriff auf Donna Juanita, der wahrscheinlich auf den durchschlagenden Erfolg von Suppés beiden Vorgängeroperetten Fatinitza und Boccaccio zurückzuführen ist. Nach Aufführungen in Paris, Berlin, Budapest, Venedig, Stockholm, Neapel, New York, Petersburg, Paris und Brüssel verschwand sie allerdings bald von den Spielplänen, so dass schon 1925 der eingangs erwähnte Rettungsversuch durchgeführt wurde. Dennoch schaffte es Donna Juanita 1932 in ihrem Originalgewand nochmals an die Metropolitan Opera in New York, wobei allerdings eigens hierfür Rezitative anstelle der Dialoge geschaffen wurden.

Von der Musik der Operette ist heutzutage so gut wie nichts bekannt. Es gibt auf einer CD "Suppé Ouvertüren" des Labels Eurodisc als auch auf der CD des Labels Marco Polo "Suppe: Ouverures Vol. 2" jeweils eine Ouvertüre und auf der CD "Suppe: Ouverures Vol. 1" (Marco Polo) einen Juanita-Marsch. Die Ouvertüre ist enttäuschend. Es ist eine der traurigsten und langweiligsten Ouvertüren, die ich von Suppé je gehört habe. Und wie es sich herausstellte, hat diese Ouvertüre so gut wie keinen Bezug zu den in der Operette vorkommenden Musiktiteln. Das ist bei Suppé eigentlich nichts Besonders, er hat schön öfter mal einem Werk eine Ouvertüre vorangestellt, die nichts mit diesem zu tun hatte (bekanntestes Beispiel: Dichter und Bauer). Eigenartig ist nur, dass laut Roser Suppé ursprünglich zu dieser Operette nur ein kurzes Preludio geschrieben hatte. Suppé muss also diese Ouvertüre zu einem späteren Zeitpunkt und möglicherweise in einer depressiven Phase geschrieben haben.

Also, die Ouvertüre bringt uns in Bezug auf die Musik der Donna Juanita überhaupt nicht weiter. Und der Marsch ist eher einer von der beliebigen Sorte. Da bleibt man zunächst für die Einschätzung der Musik auf fremde Beurteilungen angewiesen. Roser hält sich bei der Beschreibung der Musiktitel auffallend zurück. Der Suppé Biograph aus der ehemaligen DDR, Otto Schneidereit, wird da in seiner 1977 erschienenen Biographie schon deutlicher. Er schreibt:

"Suppé gelang eine ausgezeichnete Musik, die in vielen Teilen durchaus spanisch klingt, keinen spanischen Rhythmus vermissen lässt vom Bolero bis zur Habanera und sogar maurische Melodik verwendet."

In seinem nächsten Satz relativiert er aber diese Aussage schon wieder:

"Im Ganzen war die Musik schwächer als die der vorigen Operetten; hinter der großen Gebärde steht nichts Gleichwertiges an melodischem Einfall und handlungsgemäßer Grundlage".

Zum Teil vernichtend dagegen war die Kritik der Wiener Presse des Jahres 1880. Da wurden, wie so oft, unbewiesene Behauptungen aufgestellt, Suppé habe in fremden Revieren gewildert und bemäkelt, dass er das Publikum geradezu mit (nicht eigenen) Melodien überschüttet habe. Auch der gefürchtete Eduard Hanslick, seit Anbeginn schärfster Gegner Suppés, bemängelt, dass diese Operette wie die "meisten Wiener Operetten Verdi und Meyerbeer ernstlich nachäffen", dann aber wieder "jeden Augenblick in die trivialste Jodlerei hinab[springen]". Wenn man das Positive aus diesem Kaffeesatz herauslesen will, bleibt, dass Suppé (was ja bekannt ist) sich immer wieder stark der Oper annähert und dass er gleichzeitig sein Publikum mit Melodien überschüttet hat. Und auch ein weiter genannter Kritikpunkt, dass Suppé die Sänger überfordern würde, spricht eher für den Komponisten als gegen ihn.

Eine andere Kritik der New York Times über eine Aufführung im Fifth Avenue Theater, New York aus dem Jahre 1881, die ebenso heftig wie andere das Textbuch, aber auch die Aufführung selbst zerreißt, sagt über die Musik:

"Die Musik ruft nicht gerade nach einem speziellen Kommentar. Sie ist nicht so gut als andere Werke Suppés und enthält wenig, was beim ersten Hören zugkräftig wäre und ebenso wenig von einem dauerhaften Wert."

Allerdings spricht diese Kritik auch von einer begeisterten Aufnahme der beiden Finales, die übrigens auch von den vorgenannten Kritiken, mit Ausnahme der von Hanslick, lobend erwähnt werden.

Aufgrund der mehrheitlich vernichtenden Kritiken hätte man jetzt eigentlich die Sache zu den Akten legen können. Da wurde mir aber, bereits vor einigen Jahren, ein Amateur-Mitschnitt einer Aufführung des St. Petersburger Musical Comedy Theaters vom 24.11.2006, in russischer Sprache zugespielt. Und dieser hörte sich gar nicht so übel an. Aber es waren nur wenige Titel und die Zuordnung zu den in Rosers Biographie aufgezählten Musiktiteln wollte nicht so recht gelingen. Erst eingehende (computergestützte) Studien des Klavierauszuges ergaben endlich ein fast vollständiges und im Wesentlichen anderes (Klang)Bild. Aufgrund dieses Studiums wage ich zu behaupten:
  1. Die Musik zur Donna Juanita ist besser als ihr Ruf bzw. ihre Nichtbeachtung
  2. Die vermutlich nur willkürliche Auslese der mitgeschnittenen Musiktitel der St. Petersburger Aufführung sind nicht unbedingt die besten Titel; einige von denen schlummern noch im Klavierauszug.
Die Operette enthält eine ganze Reihe schöner und origineller musikalischer Einfälle. Suppé hat teilweise ein völlig andere Musik geschrieben, als man von ihm gewohnt ist und ich werde den Eindruck nicht los, er habe sich dieses Mal mehr als je zuvor, zumindest bei den komischen Nummern, an der burlesken Komik Offenbachs orientiert. Das ist ihm einmal mehr, einmal weniger gelungen, manche Nummern sind auch einfach nur banal. Aber überzeugend sind, wie ja auch schon seine Kritiker zugeben mussten, die beiden großen Finale I und II, und es gibt außerdem einen mitreißenden Bolero schon in der Introduktion, eine ebenso temperamentvolle Serenade der Studenten in der zweiten Introduktion, ein heroisches Kampflied mit einem wohlklingenden, effektvollen Marsch, ein maurisches Duett und wieder einige herrlich komische, der Opera buffa nahestehende Ensembles. Einige der vorgenannten Kritiken kann man, in abgeschwächter Form, allerdings gelten lassen. So ist tatsächlich opernhaft Heroisches, opernhaft Komisches, Possenhaftes und Banales bunt zusammengewürfelt und hin und wieder neigt Suppé zu einer komplizierten Melodik (Beispiel: Juanita Marsch), möglicherweise ein Indiz dafür, dass die Inspiration zum Teil etwas erzwungen werden musste.

Sicher ist Donna Juanita kein Boccaccio, auch keine Fatinitza. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass Boccaccio eines der Spitzenwerke der klassischen Operette darstellt und davon gibt es gerade mal eine Hand voll. Und gewiss hat die Donna Juanita naturgemäß keine wirklichen "Schlager", sonst würde man sie ja kennen, wobei die Studentenserenade oder das Kampflied durchaus auch das Potential dazu hätten. Ich meine aber, dass dieses Werk den Vergleich mit einigen Operetten von Strauß wie etwa Der lustige Krieg, Das Spitzentuch der Königin, Prinz Methusalem oder von Offenbach Blaubart, Die Tochter des Tambour Majors nicht zu scheuen braucht, und diese stehen teilweise noch auf den Spielplänen der Theater bzw. wurden erst in jüngerer Zeit für diese wiederentdeckt. Das Gleiche sollte man Donna Juanita auch wünschen; wenigstens eine Rundfunkproduktion, eine CD oder eine konzertante Aufführung hätte das Werk verdient. Zuvor müssten aber die Texte dringend überarbeitet werden, denn die sind teilweise martialisch bis blutrünstig - zum Glück aber hat Suppé diese nicht "wörtlich" in Musik umgesetzt.

Einige wenige Musiktitel von Donna Juanita fanden auch Eingang in verschiedene Neubearbeitung von Suppé Operetten. In der 3-aktigen Neufassung der Banditenstreiche von Bender/Waldenmaier (siehe Bearbeitungen Banditenstreiche) gibt es gleich mit der Nr. 3 ein Lied von Stella mit dem Text: "Ach, ich stell es mir so schön vor eine Ehefrau zu sein". Es ist allerdings nicht auf der CD des Labels Cantus Line (bzw. Walhall) zu finden, die übrigens die Bezeichnung "Gesamtaufnahme" nicht verdient, denn es fehlen einige Titel. Das Lied entspricht in der Donna Juanita der Nr. 9 "Entrée René" und hat eine für dieses Werk typische komplexe Struktur. Auf einer CD des Labels HAfG ist es auf einer CD von Boccaccio, auf der sich als Bonus auch eine Querschnitt der Banditenstreiche befindet, in gekürzter Fassung zu hören. Im 3. Akt der Banditenstreiche gibt es auch noch ein Lied des Malandrino "Süß lockt ihr Bild". Dieses Lied ist in Form einer Walzerkette á la Strauß gestaltet. Teile dieses Walzers (genau genommen zwei Walzermotive) entstammen als geringer Ausschnitt dem Verschwörungsensembe (Nr. 13) der Donna Juanita.

Die gleichen zwei Walzermelodien hat auch schon Rudolf Kattnig in einer Boccaccio Bearbeitung des Jahres 1951 als Balletmusik verwendet. Diese sind auf einer Boccaccio CD des Labels Elite Special unter dem Titel "Walzer" zu hören.

In der 3-aktigen Neufassung der Schönen Galathée , die 1967 am Landestheater in Salzburg aufgeführt wurde (siehe Bearbeitungen Galathée) wurde das Streitduett Pygmalion/Zensi ziemlich am Anfang des 1. Aktes dem Auftrittsduett (Nr. 6) der beiden "Hanswurste" Don Pomponio und Sir Douglas (also einem Männerduett) entnommen, stammt stilistisch aus der Altwiener Possentradition und ist ein Beispiel dessen, was ich eher als banal bezeichnen würde.

Es sind, wie gesagt, nur wenige Titel, die einer Wiederverwertung für würdig befunden wurden, aber es sind beileibe nicht die besten. Ich kann versichern, dass diese noch in den Noten der Partitur schlummern, als versunkener Schatz, der darauf wartet, gehoben zu werden.

Uwe Aisenpreis, 12.04.2014
Share by: