A_Die Reise um die Erde



Ein großartiges Spektakel: 
Die Reise um die Erde in 80 Tagen

„Da wäre es schön, noch mehr solche Beispiele (natürlich von Suppé) hören zu können.“


Mit diesem Satz endete mein letzter Artikel zur Beschreibung der Mozart-CD. Dario Salvi hat mit der hier vorgestellten Aufnahme diesen Wunsch bereits recht zeitnahe erfüllt. Und schon erhalten wir einen kleinen Einblick in die Vielfältigkeit des Wiener Volkstheaters. Unterschiedlicher könnten die beiden der jeweiligen Musik zugrunde liegenden Stücke nicht sein; bei „Mozart“ haben wir ein sog. Lebensbild, bei dem sich das Geschehen hauptsächlich in Dialogen abspielt, bei „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“ handelt es sich um ein hochdramatisches Bühnenspektakel, dem der gleichnamige Roman von Jules Verne als Vorlage diente, der im Deutschen besser mit dem griffigeren Titel „Um die Welt in 80 Tagen“ bekannt ist.


Jules Verne selbst hatte seinen Roman mit Hilfe eines Co-Autors dramatisiert, Carl Treumann, der Direktor des Carltheaters, besorgte die deutsche Übersetzung. Entsprechend der dramatischen Geschehnisse und der häufigen Ortswechsel im Roman geriet das Bühnenstück zu einer wahren Ausstattungsorgie mit insgesamt 15 sog. Tableaus (Bühnenbilder). Die Schauplätze sind u. a. London, Suezkanal, Indien, Borneo, San Francisco, der Wilde Westen und auf hoher See.  


Franz von Suppé wurde beauftragt, statt der ursprünglichen Musik eines Marius Baggers eine neue zu schreiben. Suppé hatte zum Zeitpunkt der Wiener Uraufführung 1875 bereits 15 mehr oder weniger erfolgreiche Operetten geschrieben, darunter so bekannte Titel wie „Die schöne Galathée“, „Leichte Kavallerie“ und „Banditenstreiche“, war aber immer noch fest angestellter Kapellmeister und Hauskomponist im Carltheater. 


Die Presse war begeistert von dem Stück, besonders hervorgehoben wurde die Szene mit dem Scheiterhaufen, in welcher ein leibhaftiger Elefant auftrat. Die Musik Suppés wurde dagegen, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Zwei Beispiele davon habe ich gefunden:


  • „Ein Wort freundlicher Erwähnung verdient die hübsche Musik von Kapellmeister Suppé“ (Neues Wiener Blatt)
  • [Die Szenenbilder] machen den größten Eindruck und werden noch gehoben durch die stimmungsvollen, teilweise originellen Musiknummern, die Suppé zu dem Werke komponiert hat. (Wiener Sonn- und Monatszeitung) 


Erst durch Dario Salvis Restauration einer handschriftlichen Partitur und seiner Einspielung der Musik mit dem Janáček Philharmonic Orchester wissen wir jetzt, welch brillantes Feuerwerk Suppé da gezündet hat. Seine Musik ist leitmotivisch angelegt, die teils wiederkehrenden Motive sind Geschehnissen, Schauplätzen oder wie bei Philas Fogg einer einzelnen Person zugeordnet. Das bringt es mit sich, dass einige Tableaus nur sehr kurze Wiederholungen beinhalten. Dagegen gibt es aber großartig illustrierte Bilderbögen, glänzend instrumentiert und den verschiedenen Schauplätzen entsprechend koloriert. So könnte man sich beispielsweise  „Im Kanal von Suez“ eine lange Karawane durch die Wüste ziehend vorstellen. Im Tableau „Auf dem Scheiterhaufen“ wächst die Musik beim Trauermarsch zu erhabener Größe an; man hört förmlich das Stampfen des Elefanten auf dem Weg zur Witwenverbrennung. In der „Schlangengrotte von Borneo“ lassen sich das Entsetzen und die Angstschreie der Reisenden vor den furchterregenden Giftschlangen nachempfinden; der Auftritt der Schlangenbeschwörerin beruhigt dann die Szene. Beim „Überfall auf die Pazifik Bahn“ intoniert das Orchester die Geräusche eines ankommenden, eines in der Ferne verschwindenden und eines wiederkehrenden Eisenbahnzuges. In „Kapitän Fogg“ hat derselbe das Schiff mitten auf hoher See zwecks schnellerer Heimfahrt gekauft. Eine liebliche Romanze signalisiert die Ruhe vor dem Sturm bzw. in diesem Fall einer Explosion des Kessels, da Fogg zu viel Dampf gemacht hat.


Man fühlt sich geradezu in einen der klassischen Hollywood-Kolossalfilme versetzt, zu denen ja auch die Verfilmung dieses Jules Verne Romans zählt. Man muss sich allerdings die den einzelnen Tableaus zugeordneten Musikstücke nochmals aufgeteilt auf unterschiedliche Szenenfolgen vorstellen, wie im Kino eben.


Bei dieser Musik tritt auch wieder die besondere Eigenheit Suppés hervor, der oft opernhafte (in diesem Fall symphonische) Elemente mit einer eingängigen Melodik verbindet - „ohrwurmverdächtig“, wie es ein Kritiker von „Opera Lounge“ ausdrückte.


Das Janáček Philharmonic Orchester unter der Leitung von Dario Salvi ist präzise und transparent, bringt die Klangfülle der farbenprächtigen Partitur voll zur Geltung, aber auch die Wucht in Suppés Musik, die „direkt in den Bauch geht“, wie es eine Regisseurin des "Boccaccio" einmal formulierte.


Ich wage zu hoffen, dass wir bald noch weitere solche köstlichen Raritäten zu hören bekommen, falls die Verkaufszahlen genauso gut sind wie die bisher veröffentlichten Kritiken.


Uwe Aisenpreis, Oktober 2022

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