A_Bellman



Bellman
Franz von Suppés kriegerischste Operette

Franz von Suppés vorletzte (noch selbst vollendete) Operette kam bei der Wiener Presse außergewöhnlich gut an. Ich habe von 10 gefundenen Besprechungen nur eine negative (Wiener Presse) und eine gehässige Kritik (Wiener Zeitung) gefunden. Vor allem die Musik wird, von den zwei genannten Ausnahmen abgesehen, beinahe überschwänglich gefeiert. Da heißt es u.a. 


  • Die Musik trägt ein höheres Gepräge als das der Operette, die Behandlung der Stimmen wie die des Orchesters ist überwältigend, schwedische Volkslieder sind sehr glücklich eingefügt…
  • …entfaltete Meister Suppé seine ganze und volle Künstlerschaft, um ein musikalisches Gebäude im Stile von Boccaccio und Fatinitza aufzuführen…
  • Bis auf das Finale des 2. Aktes, welches allzu opernhaft ausgearbeitet ist […] ist die ganze Partitur eine ununterbrochene Reihe charakteristischer und melodiöser Nummern
  • Die Musik zeigt den Altmeister Suppé in seiner vollen Klangschönheit
  • Suppés Musik ist ein kleines Meisterstück…

 

Besonders hervorgehoben wurden einzelne Musiktitel wie ein Duett von zwei Pulverfabrikanten, welches einen „Sturm von Heiterkeit entfesselte“, ein Couplet des Heringshändlers mit dem Refrain „Aber in Schweden darf man nicht reden“ - eine „hübsch erfundene Nummer von köstlicher Wirkung“, die als effektvoll bezeichnete Punschszene, das Lappländerlied, in welchem Suppé „ein schwedisches Nationallied verwertete“ und das Schwalbenquartett, „in welchem er eine schwedische Volksmelodie geschickt verwendete“.

 

Leider gibt es, außer einem eher belanglosen Marsch, aufgrund dessen man dieser Operette all das hier Gesagte nicht zutrauen würde, keine Aufnahmen von diesem Werk. Auch in keiner Operettenbearbeitung von Suppé wird irgendein Titel von Bellman verwendet. Aufgrund eines computerunterstützten intensiven Studiums der handschriftlichen originalen Partitur, die mir als Kopie zur Verfügung stand, kann ich aber die oben angeführten Bewertungen voll und ganz bestätigen.

 

Es stimmt aber auch, was einer der wohlmeinenden Kritiker anmerkte: „Die Ensembles sind den Sologesängen entschieden vorzuziehen, die letzteren leiden viel an melodischer Schwäche…“. Doch gibt es außer den oben genannten noch einige hübsche Einzelnummern, so etwa das Flicka (Mädchen)–Lied, das durchaus auch Gassenhauer-Qualität hat oder das Quintett am Ende der Operette, ebenfalls ohrwurmverdächtig. In der Tat zeigt Suppé aber in den teils polyphonen Ensembles seine wahre Stärke, seine außergewöhnliche kompositorische Kraft.

 

Als Beispiel sei die Punschszene im 2. Akt erwähnt. Da wird zunächst der Punsch gebraut, dann das Punschlied gesungen, ein Sturm zieht auf, der durch Rezitative angekündigt und mit einer Sturmmusik untermalt wird. Trotz hörbarem Sturm wird das Punschlied weitergesungen und ein Parlando, bereits melodiös untermalt, leitet dann über zu einem wunderschönen, mehrstimmigen Traumlied, welches wiederum von einem Liebesduett abgelöst wird. Am Ende der eigentlichen Punschszene hängt sich noch nahtlos ein Terzett mit einer sehr originellen Musik an, welches bereits zu einer weiteren Szene gehört, nämlich die Ankunft neuer Gäste mitten im Sturm.

 

In den beiden Finales wechseln sich dann Rezitative mit originellen musikalischen Einfällen und großen vielstimmigen Ensembles ab, wobei beim zweiten Finale das Rezitativische etwas überwiegt, was dem Aktschluss den Vorwurf des allzu opernhaften einbrachte.

 

Die Musik der Operette hat es meines Erachten auf alle Fälle verdient, wiederbelebt zu werden. Allerdings ist ohne Bearbeitung des Librettos nur eine Gesamtaufnahme auf CD ohne Dialoge denkbar. In der jetzigen Form kann man heutzutage das Werk weder mit Dialogen aufnehmen noch konzertant aufführen oder gar auf die Bühne bringen. Das liegt vor allem am martialischen Schluss der Operette; da wird mit ernsthaftem Hurra-Patriotismus der Krieg gegen Russland erklärt. Dass ausgerechnet Russland der Kriegsgegner sein soll, ist dieser Tage von besonders aktueller Brisanz. Und dies war es schon zu Zeiten der Uraufführung. Damals wurde aus politischen Erwägungen Russland von der Zensur gestrichen und der Krieg musste gegen Dänemark erklärt werden. Dieser Schluss bzw. der ganze, außer einigen unsäglichen Blödeleien in den Dialogen und einem Couplet fast humorfreie 3. Akt ist wohl der Grund, warum viele Rezensenten der Uraufführung das Libretto im Ganzen als zu ernst beschrieben haben.

 

Dabei wird in den beiden Akten zuvor durchaus noch um Krieg oder Frieden gerungen, und zwar auch mit viel Humor und politischen Anspielungen. Bellman verhält sich dazu eigentlich ambivalent, ohne aber seine vaterländische Gesinnung zu verbergen. Der Dichter fällt einer Intrige zum Opfer. Nach einer geplatzten Hochzeit im ersten Akt landet er im zweiten Akt mit seiner ehemaligen Angebeteten, der Kriegstreiberin Gräfin Ulla, auf der Flucht vor deren Widersachern direkt im Lager ihrer Feinde, kann aber mit ihr durch allerlei Finten entkommen.

 

Soweit ist alles noch spannend und lustig. Der dritte Akt beginnt aber gleich mit einer hochnotpeinlich sentimentalen Arie Bellmans, in welcher dieser seinen Verzicht gegenüber Ulla erklärt, damit sie ihrer Bestimmung folgen kann, als zukünftige Mätresse des Königs diesen zum Krieg zu drängen. Es ist dies die Arie, die einer der genannten Kritiken als „zweiten Aufguss“ des Trompeterliedes (Trompeter von Säckingen) bezeichnete. Dies mag wohl sogar Absicht gewesen sein, denn im Versmaß entspricht diese Arie genau dem Vorbild. Mit der Reminiszenz eines zuvor dargebrachten Quintetts, in welchem Krieg und Frieden nochmals pseudophilosophisch, mit originalen Bellman-Zitaten gespickt, thematisiert wird, endet die Operette unter Hurra-Rufen zur Kriegserklärung. (Details zum Inhalt der Operette siehe Werksbeschreibung Bellman).

 

Die zeitgenössische Presse störte sich übrigens überwiegend nicht an diesem Schluss, sprach sogar von „einem äußerst anmutigen, interessanten Textbuch“, oder von einem „recht amüsanten und wirkungsvollen“ Libretto, das „viel Gelegenheit zu Massenwirkungen gibt“. Aber das war eine andere Zeit, in welcher der Krieg noch als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln galt.


Zum Glück finden die entscheidenden Weichenstellungen nur im dritten Akt statt, so dass man meines Erachtens die Operette noch retten kann, ohne dabei, wie schon anderweit geschehen, das Libretto komplett umschreiben zu müssen. Ich habe selbst einige Versuche unternommen, die zeigen, dass es mit verhältnismäßig wenigen Änderungen möglich ist, einen Schluss etwa im Geiste Offenbachs zu gestalten.

 

Anmerkungen:


Zwei Prophezeiungen aus der zeitgenössischen Presse haben sich übrigens nicht bewahrheitet: „Es ist kein Zweifel, dass sich die neue Operette lange auf dem Repertoire erhalten wird und dass die vielen melodiösen Nummern bald ‚ins Volksblut übergehen‘ werden.“ (Neuigkeits-Weltblatt) und: „Wenn man die besten Namen von Suppés Werken nennt so wird man in Zukunft auch ‚Bellman‘ nennen.“ Die Operette wurde nach nur 19 Vorstellungen vom Programm abgesetzt. Suppé Biograph H.D. Roser vermutete, dass neben dem in Wien unbekannten Dichter Bellman, dem ungewohnten nordischen Sujet sowie die von Suppé gewählte Bezeichnung „Oper“ auch der kriegstreibende Schluss einer der Gründe gewesen sein könnte.

 

Historisch gab es die zwei streitenden Parteien in Schweden wirklich, jedoch handelte es sich dabei um den Adel und die nichtadeligen Stände im Ständereichstag. König Gustav III hat 1788 tatsächlich gegen Russland Krieg geführt (allerdings ohne Erklärung) - und ihn verloren.


Uwe Aisenpreis, Dezember 2022


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