A_Afrikareise

Die Afrikareise - eine Fülle berauschender Musik

 

Alexander Girardi als Miradillo in "Die Afrikareise"
Franz von Suppés 1883 uraufgeführte Operette Die Afrikareise steht in einer Reihe seiner Spätwerke, die bald nach Beginn des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten sind. Dabei war sie im Jahr ihrer Uraufführung durchaus erfolgreich. Selbst ein Suppé nicht wohlgesonnener Kritiker (Wiener Zeitung), der selbst seine Gegnerschaft zu ihm einräumte, musste eingestehen, dass die Uraufführung ein "ungeheurer Erfolg" war und fügte noch hinzu: "ein Schreien und Lärmen [des Publikums], dass man fast das Gehör einbüßte". Und weiter bemerkte er noch süffisant: "Leider galt der lebhafteste Beifall nicht den ruhigeren, schön gearbeiteten Nummern, die das Werk enthält, sondern trivialen Stücken, die gefielen, weil sie schon früher gefallen haben…" . (Dass er an dieser Stelle zu Plagiatsvorwürfen tendierende Andeutungen wiederholt vorbringt, ist ein Kapitel für sich wert). Ein anderer Kritiker von der "Lyra" meinte dagegen, Suppé habe mit dieser Operette alle seine Rivalen in den Schatten gestellt.

In Wien brachte es die Afrikareise innerhalb eines Jahres auf 43 Vorstellungen. Bereits im Herbst 1883 fand die deutsche Erstaufführung in Hannover statt, im Januar 1884 folgte Berlin. Hier wurde die Begeisterung des Publikums vermerkt, das "bereits im ersten Akt so viel wiederholt haben wollte, dass man das Gefühl hatte, es wolle die ganze Operette zweimal gesungen haben". Und das Hamburger Fremdenblatt fand sogar nach der Hamburger Premiere im März 1884, dass "Suppé der genialste und schöpferischste unter allen jetzt lebenden Operettenkomponisten" sei.

Von Anbeginn an wurde allerdings auch das Textbuch stark kritisiert. Das gleiche Hamburger Fremdenblatt schreibt dazu: "In der Versifikation und dem Reimwert der Gesangstexte ist mit einem Leichtsinn und einer Sinnlosigkeit verfahren, die wir bei den Herren West und Genée, die doch wissen, welchem Meister sie ihr Libretto lieferten, nicht begreifen". Mit den Herren waren zum einen Richard Genée, der zusammen mit F. Zell das erfolgreichste Librettistenduo der klassischen Wiener Operette bildete und Moritz West, der später zusammen mit Ludwig Held den Text zum Vogelhändler verfassen sollte, gemeint. Und Genée konnte sicher die schlechten Verse nicht darauf zurückführen, dass er sich diesmal mit Moritz West zusammengetan hatte, denn üblicherweise war er, der ja auch Komponist war, für die Reime zuständig. Die Wiener Zeitung Die Presse fand wenigstens noch einiges Gute an den Dialogen: "Das Textbuch ist fürchterlich und wären nicht im Dialog einige gute und zeitgemäße Späße eingestreut, die Librettisten hätten fast die Operette umgebracht".

Zu den Versen, welche die Operette "fast umgebracht" hätten, kann man beispielsweise diesen zählen:

Herrliches Bild, 
wo Lied und Becher klingen 
wo lusterfüllt 
die Herzen auf sich schwingen! 
Dorthin wo Liebe uns selig macht 
dort wo das Glück, wo holde Freiheit lacht.

Aber nicht alle Verse sind so schlecht, es gibt auch einige brauchbare darunter:

In Ägypten wird gestohlen, 
oben, unten, kreuz und quer! 
Keinem bleibt mehr was zu holen, 
selbst für England blieb nichts mehr. 
Doch der Brite, unverdrossen, 
handelt immer kurz entschlossen - 
während andere konferenzen 
zieht er seine Konsequenzen 
schießt zusammen was im Weg ihm 
Schlägt dann bei Tel - et - Kebir! 
Ach ja, dies ist englisch, 
nur dies ist englisch, 
das ist die richtige Manier!

Diese Verse spielen auf die englische Besetzung Ägyptens im Jahr 1882 (ein Jahr vor der Uraufführung) an, sind somit für die damalige Zeit hochaktuell, können aber, wie das bei solchen Couplets üblich war, jeweils an die gerade aktuellen Vorkommnisse angepasst werden

Die Handlung selbst scheint mir aber nicht, wie Suppés Biograph aus der ehemaligen DDR, Otto Schneidereit, meinte, "selbst für einen Schwank zu schwächlich" zu sein. Schneidereit spricht gar von einem "in Einfall und Ablauf ärmlichen Libretto". Wenn man die Inhaltsbeschreibung liest, kann man diesen Eindruck nicht unbedingt gewinnen. Sicherlich - Geschichten um die Bedingungen einer Erbschaft hat es im Theater schon hunderte Male gegeben. Aber für einen besonders witziger Einfall halte ich doch, dass die weibliche Hauptfigur sich eines Heiratsschwindlers bedient, um selbst einen Heiratsschwindel ganz anderer Art zu begehen, dann aber jener Gauner, den sie erpresst, den Spieß umdreht, sie seinerseits erpresst und ausnimmt wie eine Weihnachtsgans. Diese Situation wird übrigens in einem köstlich komödiantischen und musikalisch hervorragenden Quartett ausgehandelt. Gerade der erste Akt kommt mir vom Buch her noch durchaus gelungen vor.

Sicher mag zutreffen, wenn Suppé Biograph Hans-Dieter Roser feststellt, dass die "Zeit der klar erzählenden, den Handlungsfaden weiterspinnenden Libretti vorbei [war]". Aber eine Besonderheit ist mir dabei aufgefallen. Die Afrikareise ist eine der ersten Operetten, in deren Handlung ein Buffopaar integriert ist (zuvor gab's das auch schon beim Bettelstudent), wie es in der nachfolgenden sog. Silbernen Ära der Operette obligatorisch wurde und dessen Handlungsstränge nur noch lose mit der eigentlichen Handlung verknüpft waren. Möglicherweise unfreiwillig entwickelte sich die Handlung der Afrikareise dahingehend, dass das Buffopaar den Hauptanteil daran bekam und dennoch ist der Handlungsstrang unmittelbar mit dem anderen Paar und den übrigen Personen verwoben. Überhaupt ist die Rolle des Betrügers Miradillo eine tragende und umwerfend komische und wurde zur Paraderolle des damals berühmtesten Wiener Operettendarstellers, Alexander Girardi, der von der Presse auch entsprechend gewürdigt wurde.

Leider ist nicht zu übersehen, dass den Librettisten spätestens im 3. Akt die Puste ausging (bereits das 2. Finale war dramatisch schon nicht mehr überzeugend). Sogar ein wohlmeinender Kritiker (Ludwig Held, späterer Kompagnon von Moritz West beim Vogelhändler und anderen Operetten) schreibt: "…Operetten-Libretti haben sich längst das Recht auf mehr oder minder große Unwahrscheinlichkeiten erworben. Sie sollen nur lustig sein, … lustig und - dazu lag allerdings einige Veranlassung vor - nicht gar zu blödsinnig". Lustig ist noch, dass man Miradillo weismacht, seine Tessa sei ins Innere Afrikas verschleppt worden und er sich trotz aller ihm vorgegaukelten Schauermärchen über die dort lauernden Gefahren fest entschlossen zeigt, sie dort zu suchen. Ins Reich des blühenden Blödsinns gehört die Geschichte mit dem Gift: Fanfani soll auf Geheiß Tessas Miradillo vergiften, trinkt durch deren Trick selbst aus der vergifteten Flasche und es wird ihm deutlich gemacht, das einzige wirksame Gegengift sei die Ehe mit Tessas ältlicher Mutter Buccametta. Während der Pascha sich das noch überlegen muss, wird das Happy end eingeleitet. Hier hat man wohl zugunsten eines Gags jegliche Plausibilität über Bord geworfen.

Doch zurück zur Musik. Auf der Nummer 4 einer 6-teiligen Serie des Labels Marco Polo mit der Slowakischen Staatsphilharmonie Franz von Suppé - Ouvertures Volume 1-6 befindet sich eine ca. 10-minütige Melodienfolge, die dort als Ouvertüre bezeichnet wird. Suppe hat jedoch nur ein sehr kurzes Präludium geschrieben. Diese Melodienfolge deckt schon ziemlich viel von der Musik ab, die in der Operette vorkommt und man bekommt eine erste Vorstellung über Qualität und Charakter der Musik. Bereits hier kann man den Eindruck gewinnen, Suppés Musik habe, wie es Otto Schneidereit bemerkt, "wienerischen Anstrich wie selten zuvor". Hervorgerufen wird dieser Eindruck vor allem durch eine geradezu verschwenderische Verwendung von Walzern, Polkas und natürlich Märschen; orientalische Einfärbungen werden nur sparsam eingesetzt. Auf der bereits genannten CD gibt es auch noch einen Marsch Über Berg, über Tal, der seinerzeit eine gewisse Berühmtheit erlangte und über den der bereits zitierte Ludwig Held mutmaßte, dass "er sicherlich bald von sämtlichen Werkelmännern Wiens gespielt werden wird". Auf der Nummer 3 der gleichen CD-Edition findet sich der Titania Walzer, eine Walzerfolge aus der Afrikareise, die den ganzen Liebreiz der Walzermelodien vermittelt. Und auf einer CD des gleichen Labels und gleichen Orchesters mit dem Titel Franz von Suppé - Marches - Waltzes - Polkas finden sich noch eine Polka francaise und eine Polka mazur mit dem Titel L'Orientale. Auf einer sog. Gesamtaufnahme der 3-aktigen Neubearbeitung von Suppés Operette Banditenstreiche der Labels Cantus Line bzw. Walhall sind noch zwei weitere Musikbeispiele zu hören: zunächst im ersten Finale eine kurze Chorpassage mit dem Text: "Er geht zu Malandrino, dieser Wicht". Diese Passage stammt aus dem ersten Finale der Afrikareise und lautet dort: "Was wird dazu die Frau sag'n". Als zweites stammt das gesamte 2. Finale der Banditenstreiche-Bearbeitung, beginnend mit "Sie standen da mit meiner Braut zusammen" aus dem Quartett Nr. 4 im ersten Akt der Afrikareise, allerdings mit einigen Umstellungen und Streichungen. Auf einer Gesamtaufnahme von Suppés Frühwerk Pique Dame des Labels cpo befinden sich als Bonus einige Ouvertüren, darunter auch das sehr kurze Präludium der Afrikareise. Und als letzte der mir bekannten Einspielungen gibt es noch eine Rundfunkaufnahme des WDR Rundfunkorchester unter Curt Cremer, die sich Ouvertüre zur Afrikareise nennt. Diese "Ouvertüre" ist aber moderner instrumentiert, etwa im Stil der Unterhaltungsmusik der 50er oder 60er Jahre und enthält einige weitere, bisher noch nicht gehörte Melodien.

All die genannten Aufnahmen decken aber noch lange nicht alle Musiktitel der Afrikareise ab. Wie schon bei Donna Juanita brachte mir erst die intensive Beschäftigung mit dem Klavierauszug einen Gesamteindruck über die tatsächliche Qualität der Musik. Lassen wir noch einmal einen der Kritiker der Uraufführung zu Wort kommen, der zwar zugegebenermaßen insgesamt wohlmeinend aber gelegentlich auch von oben herab urteilte, um die einzelnen Musiknummern zu "würdigen" (Wiener Morgen Post vom 18.03.1883):

"Der erste Akt enthält gleich ein schönes, musikalisch allerliebst ausgestaltetes Quartett […] ferner ein Terzett mit überaus nett pointiertem Refrain, der bald Popularität erlangen dürfte und ein vortrefflich aufgebautes Finale, durchwirkt mit einem zierlichen Walzer, einer Mazur und einem frischen Marschmotiv, die ein buntes, recht lebhaftes und farbenreiches Ensemble bilden. Das von … gesungene Couplet 'Das Englische ist die richtige Manier' büßte schon darum an Wirksamkeit ein, weil es musikalisch für die Gesangskunst von … zu hoch ist. Dagegen hörte sich das […] niedlich pointierte Lied 'Sprechen Sie mit Mama' gefällig an, ebenso das hübsche Selamduett (Nr. 8, Blumen Duettino) während Herr Girardi mit dem nach dem bekannten Abt'schen Liede 'Gute Nacht du mein herziges Kind' variierten Couplet die echte und rechte Stimmung im Publikum hervorrief, das bis dahin sich ziemlich zuwartend verhalten hatte. Ein Sextett mit abgebrauchtem Nieseffekte, ein schöner Chor, den Beginn des Beiramfestes und das Steigen des Nils besingend sowie ein nicht sonderlich wirksames Trinklied sind zu einem Finale verflochten, das gegen jenes des ersten Aktes ziemlich abfällt. Der […] dritte Akt bietet außer einer […] vorzüglich gesungenen Romanze sowie einem melodiösen, ins Ohr sich einschmeichelnden und dreimal zu Wiederholung begehrten Terzett […] nichts mehr Bemerkenswertes."

Im Großen und Ganzen kann ich dem Rezensenten durchaus zustimmen. Leider hat er noch weitere gelungene Nummern gar nicht erwähnt, so z. B. die, wie fast immer bei Suppé, bereits zugkräftige Introduktion mit seinem Bakschischchor in orientalischer Einfärbung und dem herrlich köstlichen Touristenlied des Miradillo. Ebenso sind die beiden Entrees, sowohl das des Prinzen als auch das der Titania, wundervoll gestaltet und immer von Chorgesang begleitet. Auch findet das Duett/Terzett Nr. 12 zwischen Miradillo, Tessa und Fanfani merkwürdigerweise beim Kritiker keine Erwähnung, obwohl es doch, teils in bester opera buffa Manier gehalten, auch den großen, zwar nach Titania benannten, aber von Tessa gesungenen Walzer enthält.

Unter'm Strich kann ich absolut dem zustimmen, was die Wiener Zeitung, allerdings nach der Uraufführung einer Neubearbeitung vom 14.06.1924 schreibt:

"Nach den zum Überdruss genossenen Java, Jimmys und Steps wirken die Walzer, Märsche, ja selbst alte Polkalieder geradezu erquickend; man freut sich des Melodien- und Ideenreichtums der kraftvollen Ensemblechöre und Finales, dieser Fülle berauschender Musik, die aus einer solchen Operette wie Die Afrikareise herausgeschöpft werden kann."

Es ist schade, dass diese Musik im wahrsten Wortsinn "sang- und klanglos" in Vergessenheit geraten ist. Sicherlich müsste man, um das Werk wieder auf eine Bühne bringen zu können, das Textbuch, vor allem die Verse, gründlich überarbeiten. Aber man braucht meines Erachtens deswegen nicht gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten und eine neue Handlung oder gar einen anderen Handlungsort zu erfinden. Einige Streichungen, z. B. die genannten Nieseffekte im zweiten Finale und einen plausibleren Schluss würden der Geschichte schon gut tun. Es wurden in jüngster Zeit schon Operetten mit ähnlich schwachen Büchern aber mit geringerer musikalischer Qualität wiederbelebt, ob als Gesamtaufnahme auf CD, konzertante Aufführung oder auf den Brettern der Bühne.

"The good news" kommen ausgerechnet aus England. Das Imperial Vienna Orchestra unter ihrem Dirigenten Dario Salvi plant für 2016 eine konzertante Aufführung der Afrikareise, ebenso eine Gesamtaufnahme davon auf CD sowie ein Video. Man darf gespannt sein, ob dieses Projekt tatsächlich verwirklicht wird und darauf hoffen, dass CD und Video auch hier bei uns erhältlich sein werden.

Uwe Aisenpreis, 17.04.2015
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