A_200. Geburtstag

Franz von Suppé zum 200. Geburtstag

Aufgrund des doch eher bescheiden ausgefallenen Jubiläumsjahres aus Anlasse des 200. Geburtstages von Franz von Suppé folgt wenigstens hier eine ausführliche Widmung seines Werkes. Aus urheberrechtlichen Gründen können jedoch hier nur Musiktitel wiedergegeben werden, die bereits in YouTube veröffentlicht wurden.

Ein Morgen, ein Mitag, ein Abend in Wien 

Diese Ouvertüre, deren Titel dieser Webseite den Namen gab, schrieb Franz von Suppé bereits in den Anfangsjahren seiner Musikerlaufbahn, im Jahre 1844, vier Jahre, nachdem er seine erste Anstellung am Theater in der Josefstadt erhielt. Und bereits hier kam eine Eigenheit von ihm zutage, für die er oft auch mal kritisiert wurde, nämlich, stets nach Höherem strebend, für noch so große Belanglosigkeiten eine viel zu anspruchsvolle Musik zu schreiben. Denn dieses Stück, ein sog. lokales Gemälde aus dem Wiener Alltag, war entgegen seines erwartungsvollen Titels eine Aneinanderreihung solcher Belanglosigkeiten, das trotz Anreicherung mit "gymnastischen Kunstproduktionen" englischer Artisten durchfiel. Als weiteres Merkmal findet sich in dieser Musik schon die dramatische Wucht, die, häufig auch an Verdi erinnernd, für Suppés Musik ebenfalls charakteristisch ist und in der gesamten Operettenliteratur einzigartig bleiben wird.

Wir wollen bei den biographischen Details zu Franz von Suppé nicht ganz bei null anfangen. Wer sich für seine Kindheits- und Jugendjahre interessiert, möchte hier unter Biographie nachschlagen. Wir befinden uns jetzt bereits in einem für Suppé zwanzig Jahre andauernden Lebensabschnitt, den sein jüngster Biograph H.D. Roser als die Zeit der "Possenfron" bezeichnet. Denn zu seinen Aufgaben gehörte neben dem Leiten von Orchesterproben als Einstiegsbetätigung, dem natürlich auch bald die Übernahme des Taktstockes bei Aufführungen folgte, auch schon von Beginn an die Komposition für allerlei Bedarfsmusik für das Wiener Volkstheater, wozu u. a. sog. Lebensgemälde, Lebensbilder, Lustspiele, historische Gemälde, Possen, Zauberspiele, Zeitbilder, Charakterbilder, Märchen, Schwänke, Schauspiele und vieles mehr gehörte. Von 1840 bis zu seiner ersten Operette komponierte er die Musik zu (nachgewiesen) 138 Stücken dieser Art. 

Die nächste Ouvertüre, mit der Suppé nur zwei Jahre später nach Ein Morgen, ein Mittag ein Abend Furore machte, gehörte nicht einmal zu dem Stück, zu der sie aufgeführt wurde. Zu Karl Elmars Lustspiel mit Gesang Dichter und Bauer stellt Suppé, der zu dem Stück selbst zahlreiche Lieder komponierte, eine Ouvertüre voran, die er schon zweimal zuvor für andere Stücke verwendet hatte, mit denen zusammen sie aber durchfiel. Und obwohl Direktor Franz Pokorny Suppé die weitere Verwendung dieser Ouvertüre untersagt hatte, setzte er sie bei Dichter und Bauer erneut ein und hatte damit endlich Erfolg. Danach machte er aber den gleichen Fehler wie so mancher berühmte Kollege vor ihm. Da er in dieser Zeit finanziell immer in der Klemme war, verkaufte er die Rechte an der Ouvertüre, nichts ahnend von ihrem künftigen Welterfolg, an den zufällig in Wien weilenden Münchner Verleger Josef Aibl, und der machte dann ein Vermögen damit.


Wohl kaum eine Ouvertüre ist in so vielfältigen Variationen interpretiert worden, wie diese, von den weltbesten Philharmonikern bis zur Trachtenkapelle ist so ziemlich alles vertreten, was irgendwie Musik macht und so manche Interpreten, auch große Namen, sind mit diesem Paradestück grandios gescheitert. Interessanterweise kam die Interpretation des Hiroshima Symphonie Orchesters meinen Hörgewohnheiten gegenüber allen von mir verglichenen YouTube-Beiträgen noch am nächsten. 

1850 starb Suppés erster Direktor und Förderer Franz Pokorny. Ihm zum Gedenken komponierte er fünf Jahre später ein Requiem in d-moll. Dieses Requiem wurde in den letzten Jahrzehnten erst wiederentdeckt und erfreut sich bei Experten großen Zuspruchs. Allgemein kommt aber das Erstaunen zum Ausdruck, dass ein für Operetten bekannter Komponist ein so beeindruckendes Werk erschaffen konnte. Und umgekehrt bedauert eine zeitgenössische Kritik, dass eine solche Begabung wie Suppé am Theater in Wien die Komposition von Possen zu komponieren hat. 

1856 wurde im Wiener Carltheater mit Die beiden Blinden erstmals eine Offenbach-Operette aufgeführt und zwar von einer französischen Gastspieltruppe und noch in französischer Sprache. Zwei Jahre später kam dann mit der Verlobung bei der Laterne eine nicht von Offenbach autorisierte deutsche Übersetzung auf die Bühne und es folgten weitere Offenbach-Operetten, bis hin zum ersten abendfüllenden Werk Orpheus in der Unterwelt mit Johann Nestroy in der Rolle des Jupiter im Jahre 1860.

Nachdem Alois Pokorny, Sohne des Franz Pokorny und Direktor des Theaters an der Wien, zu dem Suppé inzwischen gewechselt war, vergeblich versucht hatte, Offenbachs Werke legal an sein Theater zu bekommen, versuchte er es zunächst mit anderen französischen Komponisten. Aber diese Versuche waren nicht erfolgreich, unter anderem, weil das vorhandene Ensemble nicht auf den französischen Esprit eingestellt war. So beauftragte man Franz von Suppé damit, für das neue Genre eine Wiener Lösung zu schaffen. Und die Wiener Antwort auf Offenbach hieß Das Pensionat, uraufgeführt am 24. November 1860 im Theater an der Wien und dieses Datum gilt somit als Geburtsstunde der Wiener Operette. Diese war wie die frühen Offenbach-Werke ein Einakter, galt in der damaligen Zeit als sehr frivol - was man sich heute kaum noch vorstellen kann - und wurde dennoch oder gerade deshalb zum Erfolg der Saison.


Suppé wusste offenbar nur, was er nicht schreiben sollte: keine bloße Nachahmung Offenbachs aber auch keine Posse. So schrieb er denn, was er ohnehin immer gerne schreiben wollte, eine kleine Oper, allerdings mit sehr parodistischem Einschlag. 

Wir können am Ende dieses Beispiels wieder die eingangs erwähnte Wucht in Suppés Musik wiederfinden, wenngleich diese in der Rundfunkfassung aus den 50 Jahren nicht so gut rüberkommt wie in einer neueren Aufnahme des WDR, die aber leider nicht auf CD erhältlich ist. Und wir erkennen eine weitere Spezialität Suppés, die Vorliebe für die italienische Opéra buffa, für die er immer mal wieder mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, er habe zu viel in den Donizettel-Kasten geschaut. Andererseits kann man oft lesen, bei dieser Operette habe Offenbach hörbar Pate gestanden. Das kann man allerdings nur an einem Can Can gleich im zweiten Musiktitel festmachen. 

Suppés zweite Operette ein Jahr darauf, Die Kartenschlägerin, geriet zum Flop, aber die dritte wurde sogar ein internationaler Erfolg. Zehn Mädchen und kein Mann ist eine Operette ganz im Nonsens Stil wie so viele Einakter Offenbachs. Ein Witwer hat zehn Mädchen, von denen jede in einem anderen Land geboren und aufgewachsen ist und möchte sie unter die Haube bringen. Er hält einen jungen Mann, der zu Besuch kommt und sich eigentlich für seine Haushälterin interessiert, für einen Brautwerber. Schlüsselstelle der Operette ist die sogenannte Produktionsszene, bei welchem sich die Mädchen vor ihrem vermeintlichen Bewerber mit ihren Künsten produzieren müssen. Dies gab dem Komponisten Gelegenheit, sich in den verschiedensten Sujets zu tummeln.


In einer Aufführung der Oklahoma Christian University 2011 sang Lavon Wheeler den Gilleaume-Walzer.
Der vorletzte Titel aus dieser Operette zeigt eine weitere Spezialität, die Suppé in manchen seiner Operetten gerne eingesetzt hat, eine sogenannte Banda, in welcher die Darsteller auf der Bühne selbst einige Instrumente spielen. In der nachfolgenden Szene spielen die Mädchen auf Xylophonen die Holz- und Strohpolka.


Diese Operette wird auch heute noch relativ häufig gespielt, allerdings meist nur von Musikhochschulen, mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Eben durch diese Produktionsszene und und die vielen  Ensemblesätze ist das kleine Werk für Abschlussjahrgänge geradezu wie geschaffen, um deren vielfältigen Talente auszuprobieren. 

Nachdem Suppé 1863 mit Flotte Bursche eine Operette geschrieben hatte, bei welcher er teilweise auf Studentenlieder zurückgriff, 1864 mit Franz Schubert eine, bei der er ausschließlich die Musik des Titelhelden verarbeitete brachte er 1865 mit der schönen Galathée ein Werk auf die Bühne, von dem Anton Würz in Reclams Operettenführer urteilte, sie sei eine der vollkommensten Bühnenschöpfungen Suppés. In dieser ebenfalls noch einaktigen Operette handelt es sich um den antiken griechischen Bildhauer Pygmalion, der sich so sehr in die von ihm geschaffene Statue Galathée verliebt hat, dass er Venus darum bittet, sie zum Leben zu erwecken. Das dazu komponierte Duett ist eines der Höhepunkte der Operette.


Doch Galathée, kaum zum Leben erwacht, erweist sich, wen wundert‘s, als – gelinde gesagt, lebenslustig. Ihr wahrer Charakter tritt zum Vorschau, als sie der Kunstmäzen Mydias mit Schmuck überhäuft, nur um einen Kuss von ihr zu ergattern. 


In diesem Terzett singen im Gegensatz zum dargestellten Cover Ferry Gruber den Mydias, Anna Moffo die Galathée und Rose Wagemann den Diener Ganymed.

In beiden Titeln zieht Suppé alle Register seines ästhetischen Anspruches hin zur Oper. Sie sind auch exemplarische Beispiele dafür, wie Suppé sich immer mal wieder vom groteskeren Vorbild Offenbachs entfernt. Wo Offenbach die Oper persifliert, huldigt ihr Suppé. Allerdings kommen in diesem Werk auch schon erste Elemente des Wiener Volkstheaters zur Geltung etwa mit dem Couplet des Ganymed oder dem Entrée des Mydias.

Die schöne Galathée ist neben Boccaccio das einzige Werk Suppés, das aufgrund seiner Qualitäten nach wie vor zum Repertoire deutschsprachiger Theater gehört, wenn auch viel zu selten gespielt, zuletzt in Dresden 2018. 

Das nächste Jahr 1866 brachte wieder einen Erfolg, wenngleich kein nachhaltiger. Von der Leichten Kavallerie ist heute nur noch die Ouvertüre bekannt, obwohl es aus den 50er Jahren noch eine Gesamtaufnahme des ORF gibt. Die zeitgenössische Kritik monierte beispielsweise, die Musik bewege sich fortwährend in lärmenden Galopp- und Marschrhythmen, was ja eigentlich bei einer Operette, in welcher die Kavallerie im Mittelpunkt steht, nicht wundern sollte. Aber diese Kritik ist eigentlich nur für ganz wenige Szenen schlüssig und derselbe Kritiker räumte ja auch ein, dass der lyrische Teil eine wahre Erholung bot.


Am Ende der diesmal zweiaktigen Operette bringt Suppé wieder eine Opernparodie, vergleichbar der im Pensionat, allerdings fällt das parodistische Element diesmal noch etwas drastischer aus.


Nummern wie dieser werden wir in Suppés Werken immer mal wieder begegnen. Er hatte wohl viel Spaß daran, solche durcheinander verschlungenen Ensemblesätze zu komponieren. 

Während die nächste Operette die noch im gleichen Jahr uraufgeführten Freigeister wenig Erfolg hatte, war die des Jahres 1867 nochmals erfolgreich. Banditenstreiche war ursprünglich eine Operette in einem Akt. Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhundert wurde das bis dahin vergessene Werk in eine dreiaktige Operette umgearbeitet. Dazu wurden Musiktitel aus anderen Werken Suppés hinzugefügt, was uns im weiteren Verlauf dieser Widmung noch zugutekommen wird. In Banditenstreiche legte Suppé endgültig die Merkmale der Wiener Operette fest – opernhaftes gemischt mit Elementen des Wiener Volkstheaters. 


Leider singt Kurt Großkopf dieses Couplet im Sprechgesang, wobei er schon in anderen Operetten bewiesen hat, dass er durchaus singen kann.

Der nächste Titel geh dann wieder ins opernhafte, hat aber auch noch ein anderes Element, dass für viele Operetten typisch ist, das Melodram. 


Die Operette des Jahres 1868 wird Suppés erste Operette in drei Akten und somit war nicht Fatinitza, wie oft zu lesen ist, Suppés erste abendfüllende Operette. Aber Librettist Carl Costa hat es Suppé schwer gemacht, von der Wiener Volkskomödie loszukommen. Obwohl er auf den Stoff einer englischen Balladen Oper zurückgegriffen hatte, der auch schon von Christoph Willibald Gluck vertont worden war, überführte er die Geschichte in die Tradition des Besserungsstückes der Alt-Wiener Zauberkomödie nach Art des Ferdinand Raimund, ohne aber dessen poetische Kraft zu erreichen. So wurde dieses Werk zum Misserfolg, obwohl die Musik teilweise gelobt wurde. Außer der Ouvertüre gibt es aber keinerlei Einspielungen zu dieser Operette.

Auch die nachfolgenden Einakter Tantalusqualen und Isabella waren nicht erfolgreich. 1870 gab es wieder ein abendfüllendes Werk, von dem aber die Kritik meinte, ein Akt hätte genügt. Das Stück geht auf eine Lohengrin-Parodie von Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862) namens "Lohengelb" (1859) zurück, eine Parodie auf Wagners „Lohengrin“, die Operette trägt aber den Titel Die Jungfrau von Dragant. Wie schon Nestroy der Meinung war, man könne Wagners bedeutungsschwangeren Sagenstoffen am besten den Spiegel des Gegenteils, nämlich der Posse, entgegenhalten, so waren es wohl auch die Autoren dieser sog. "burlesken Operette". Im Gegensatz zu Offenbachs großartigen Persiflagen auf antike Mythen und/oder die europäische Sagenwelt, welche die Geschehnisse einfach auf den Kopf stellen, handelt die Operette von einer harmlosen Verballhornung des im Übrigen fast originalgetreu nacherzählten Opernstoffes. Wieder einmal fragt sich die Presse, ob es sich bei diesem Werk um eine Posse oder eine Operette handelt. Entsprechend fehlen denn auch der Musik die opernhaften Strukturen früherer Werke gänzlich, obwohl es sich doch gerade bei diesem Stoff anbieten würde. Ebenso werden außer einigen wenigen Instrumentaleffekten keinerlei parodistische Anspielungen auf Wagners Musik aufgeboten. So bleibt denn die Musik auf weiten Strecken eine "harmlose, lustige Possenmusik". Trotz dieser Einwände gilt festzuhalten, dass das Stück, wie schon die oben zitierte Kritik ebenfalls ausführte, "...einige kostbare Nummern aufweist", die es wert sind, der Vergessenheit entrissen zu werden.


Dieser Titel, ein Pendant zu „Elsas Klagen an die Lüfte“ aus dem Lohengrin ist leider auf YouTube die einzige Auskopplung aus einer Gesamtaufnahme des WDR, die aber nicht auf CD zu haben ist und auf der sich noch köstlichere Nummern befinden. Eine davon ist der Liebeswalzer, der auf YouTube nur instrumental zu finden war. In der Operette wird er vom Chor gesungen, welche die einzelnen Instrumente eines Orchesters nachahmen, während der Hin- und Herrufer (im Lohengrin der Heerrufer) den Dirigenten und Vorsänger gibt. Eine herrliche Parodie auf Strauß'sche Walzerfolgen.


1871 gab es ein Ereignis, auf das Wien schon lange gewartet hatte. Johann Strauß Sohn, damals schon weltberühmter Walzerkönig, führte seine erste Operette, Indigo und die 40 Räuber, auf. Strauß begann gleich mit einer abendfüllenden Operette, Suppé hatte dagegen 1872 mit dem Einakter Cannebas nochmals einen Misserfolg und verstummte darauf für längere Zeit fast ganz. Während Strauß trotz zunächst nur Achtungserfolgen gefeiert wurde, musste Suppé weiterhin die Musik zu allerlei Volkskomödien und Schauspielen schreiben, u.a. für zwei Stücke nach Romanen von Jules Verne; er schrieb aber die nächsten vier Jahre keine einzige Operette mehr. 

Inzwischen hatte Johann Strauß schon seine damals noch nicht als Welterfolg abzusehende Fledermaus von 1874 hinter sich und arbeitete gerade mit Gagliostro in Wien an seiner vierten Operette. Der seit 1872 neue Direktor des Carltheaters, Franz Jauner, hatte ein Textbuch von F. Zell und Richard Genée, den nachmals erfolgreichsten Textautoren der Wiener Operette, erworben und wollte damit Johann Strauß für das Carltheater gewinnen. Strauß lehnte jedoch ab, in erster Linie deshalb, weil der Originalstoff aus dem Französischen genommen wurde und gerade diese Tatsache bereits bei der Fledermaus zu urheberrechtlichen Problemen geführt hatte. Daraufhin erhielt Suppé, der sich mit zwei recht erfolgreichen Kompositionen zu Theaterstücken zurückgemeldet hatte, von seinem Direktor Jauner den Auftrag zur Komposition. Und er nützte die Chance und erzielte mit Fatinitza ein strahlendes Comeback.


Lydia, die Nichte des Generals Kantschukoff, der sich während des Krimkrieges gerade zur Inspektion an der russisch/türkischen Front aufhält, fährt mit einem Schlittengespann vor. Sie will angeblich bei den Heldentaten ihres Onkels dabei sein, in Wirklichkeit ist sie ihrem strafversetzten Verehrer nachgefahren. Dieser, der Leutnant Wladimir, wollte gerade mit seinen Kameraden aus Langeweile ein Stück aufführen, wozu er in die Rolle des Bauernmädchens Fatinitza geschlüpft ist. In der gleichen Verkleidung hatte er einst eine verheiratete Dame besucht und dabei mit deren Schwager, einem hohen Offizier, eine weitere Eroberung gemacht. Nur mit Mühe konnte er dessen Nachstellungen entkommen. Dieser Offizier war Kantschukoff, der sich nun erneut Hals über Kopf in das Bauernmädchen verliebt. 

Eine wichtige Rolle in dem nun beginnenden Verwirrspiel spielt der deutsche Kriegsberichterstatter Julian von Golz.


Da Lydia die Ähnlichkeit Fatinitzas mit Wladmir sofort auffallen muss, gibt sich Wladimir auf Anraten Julians als Schwester seines angeblich gefangen genommen Ichs aus. Nach vielen weiteren Verwicklungen, u.a. einer Entführung der beiden „Frauen“ in einen türkischen Harem, ihrer Befreiung und der Flucht Wladimirs vor der Entdeckung durch Kantschukoff kehrt der Frieden im Land ein und Lydia hofft auf eine baldige Rückkehr ihres Geliebten und auf ein Happy end, das dann auch bald eintritt. 


Eine Spezialität des Carltheaters, in dem Suppé angestellt war, waren Hosenrollen. Frauen in Hosen wirkten vor allem auf die männlichen Zuschauer jener Zeit höchst erotisch. Demzufolge wurde Wladimir von einen Mezzosopran dargestellt und die besonders erotische Note in Fatinitza war, dass eine Frau einen Mann spielt, der sich wiederum als Frau verkleidet – eine Konstellation, die es schon im Figaros Hochzeit und später noch im Rosenkavalier gab. 

Fatinitza wurde sehr schnell zum Welterfolg und macht Suppé erstmals finanziell unabhängig. Noch bis zum ersten Weltkrieg war sie eine der erfolgreichsten Operetten. Doch gerade die in dieser Konstellation zwingende Hosenrolle ließ sie in neuerer Zeit völlig in Vergessenheit geraten, da Hosenrollen zumindest in der Operette aus der Mode kamen. Was man seit 1911 dem Rosenkavalier bis heute noch zubilligt, wollte man für die Operette nicht mehr akzeptieren. 2006 hat eine Aufführung in Bad Ischl das Werk wieder aus der Versenkung geholt. Davon gibt es auch eine CD. Eine nachfolgend verunglückte Inszenierung in Mainz macht es allerdings fraglich, ob sich weitere Bühnen dieser Operette annehmen wollen. 

Eine Zwischenstufe auf dem Weg zum endgültigen Ruhm bildete die nachfolgende Operette Der Teufel auf Erden, die Suppé nach neusten Erkenntnissen aber bereits vor Fatinitza fertiggestellt hatte, dann aber mit dem Buch unzufrieden nochmals eine neues Libretto anfertigen ließ. Trotz eines Premierenerfolgs konnte sich das Werk aber nicht durchsetzen. In YouTube ist davon außer einem langwierigen Teufelsmarsch auf einer Pianola gespielt nichts zu finden. Aktuell interessant wird das Werk dadurch, dass in jüngster Zeit drei voneinander unabhängige Produktionen offenbar der Empfehlung des Suppé Biographen H. D. Roser gefolgt sind, die Operette, die er ein „fröhliches, musikalisch anspruchsvolles Ganzes, ein Meisterwerk“ nennt, wieder für die deutschen Bühnen zu entdecken. Da war einmal 2016 das Münchner Akademietheater August Everding, das allerdings eine schrille Revue ohne Wiedererkennungswert daraus gemacht hat. Dann gab es eine konzertante Aufführung am 26.10.2018 im Brucknerhaus, Linz, übrigens eine der wenigen Aufführungen, die aus (vorgezogenem) Anlass des 200. Geburtstages von Suppé (leider nur einmalig) über die Bühne ging. Und als nächstes kommt dasselbe Werk nun als richtige Operette wieder auf die Bühne, und zwar am 27. April 2019 im Opernhaus Chemnitz. Allerdings kommt auch diese Wiederentdeckung an einer Modernisierung nicht vorbei. Man darf gespannt sein, inwieweit das Original vor allem musikalisch noch zu erkennen sein wird. Vom Original gibt es übrigens eine Rundfunkaufnahme des WDR von 1984, die leider auch nicht auf CD erhältlich ist.

Beflügelt durch den Welterfolg der Fatinitza konnte es sich Suppé leisten, für seine nächste Operette, für die er sich wieder mit F. Zell und Richard Genée zusammentat, maßgeblichen Einfluss auf das Buch zu nehmen. Gewählt wurde ein Stück um den Dichter Giovanni Boccaccio, den Verfasser der erotischen Novellensammlung Decameron. Und es entstand ein Libretto, das Hans-Dieter Roser als "eines der besten Bücher der Wiener Operette" bezeichnet. Dabei ist es den Autoren gelungen, einige Novellen aus dem Decameron geschickt in die Handlung hinein zu verweben, wodurch sie den Dichter einen Teil seiner Geschichten selbst erleben lassen.

Im nachfolgenden Beispiel hat Isabella, die Gattin des Barbiers Scalza, zwei Liebhaber zu Besuch, als ihr Gatte einen Tag zu früh von einer Reise nach Hause kommt. Geschickt tischt sie ihrem Mann nun ein Lügenmärchen auf, das ich aufgrund der guten Textverständlichkeit des Beispiels nicht weiter erläutern muss. Den beiden Liebhabern hat sie zuvor aufgetragen, so zu tun, als würden sie sich duellieren.

 
Diese Szene entspricht in der Novellensammlung der Nummer 6 des 7. Tages. In der Operette sind die beiden nichts voneinander ahnenden Liebhaber der Dichter selbst und sein Student und Freund Leonetto. Boccaccio behauptet allerdings, er habe nur die Freundin seines Freundes kennen lernen wollen. Er ist eigentlich in Fiametta verliebt, der Ziehtochter des Gewürzkrämers Lambertuccio. Nach einen Kirchgang verkleidet er sich als Bettler, um der Angebeteten näherzukommen. 


Die Eingangsszene des 2. Finales enthält gleich zwei Novellen. Boccaccio hat sich als Bauerntölpel verkleidet und tritt beim Gewürzkrämer die Stelle eines Erntehelfers an, um Fiametta zum Rendezvous zu treffen. Als er einen Olivenbaum besteigt, beschuldigt er den abergläubischen Lambertuccio, dass er seine Ziehtochter Fiametta unsittlich berühre. Da der völlig unschuldige Lambertuccio dies aber abstreitet, muss der Baum wohl verhext sein, wovon sich der Beschuldigte überzeugen soll. Lambertuccio klettert auf den Baum und sieht nun völlig fassungslos das unsittliche Treiben um ihn herum: Seine Nachbarin Isabella, die Frau des Faßbinders, die einen fremden Offizier in einem Fass versteck, Fiametta mit dem Bauerntölpel und - ganz unfassbar, seine eigene Frau mit einem Studenten. Der Baum muss wirklich verhext sein. 


In die Novelle Tag 7, Nummer 9 mit dem verhexten Baum wurde ganz geschickt die Novelle Tag 7, Nummer 2 mit dem Liebhaber im Fass integriert. Es versteht sich beinahe von selbst, dass die Liebesszenen in der Novelle wesentlich drastischer ausgefallen sind als in dieser prüden Inszenierung aus dem Jahre 1966, die auch noch um die Szene mit Lambertuccios Ehefrau gekürzt wurde. 

Die italienische Atmosphäre des Buches kam der Vorliebe Suppés für den italienischen Opernstil sehr entgegen. So ist ihm eine Musik von gleichbleibend hoher Qualität gelungen, die kaum einen schwächeren Titel aufweist. Es ist beinahe unmöglich, aus der Fülle gelungener Nummern nur wenige herauszugreifen und dabei dem Werk gerecht zu bleiben. Dazu hier ein Zitat aus der Reihe "Musikstunde" des SWR2 zum Thema Giovanni Boccaccio (Ulla Zierau, 28.02.2013): 

Nirgendwo in den Werken aus dem Goldenen Zeitalter dieser Gattung, nirgendwo haben sich Witz und Geist der italienischen Spieloper so glücklich mit dem Dreivierteltakt der Donaumetropole verbunden wie hier, in diesem Kunstwerk aus opera buffa und Wiener Operette [...] Köstlich die vokalen Ensemblesätze, hinreißend gebaut die Finali, nicht zu vergessen die Suppé – Italianità von Kanzonen wie Mia bella fiorenta. 


Natürlich war die Rolle des Boccaccio bei seiner Uraufführung im Carltheater in Wien wieder eine Hosenrolle. Heutzutage wird sie jedoch meist mit einem Tenor besetzt. Experten befürworten allerdings, diese Rolle wieder mit einen Mezzosopran zu besetzen, mit der Begründung, dass die weibliche Stimme und Gestalt des Helden ihn vom Verdacht befreit, dass er, der die Frauen zu ungezwungenem Liebesverlangen befreien will, dies aus Eigennutz tue, um sie aus häuslichem Männerjoch ins außerhäusliche Männerjoch zu jagen. Allerdings können mich in diesem Szenenbeispiel weder Kostüme noch Bühnenbild so recht überzeugen. 

Es ist für mich unverständlich, wie selten dieses Meisterwerk auf deutschsprachigen Bühnen präsent ist und das, obwohl unter Experten Boccaccio neben Fledermaus und Bettelstudent als das Nonplusultra der klassischen Wiener Operette gilt. Der Erklärungsversuch eines Musikdramaturgen, das Stück sei sehr anspruchsvoll, anspruchsvoller als beispielsweise Fledermaus oder Bettelstudent reicht mir eigentlich nicht. Wenn man sich allerdings einige Inszenierungen hier im Netz anschaut, kann man schon den Verdacht hegen, dass da entweder Dilettanten oder aber ambitionierte aber heillos überforderte Regisseure am Werk waren. 

Mit Boccaccio hatte Suppé sicherlich seinen Zenit überschritten. In Reclams Operettenführer ist zu lesen: „In den folgenden Jahren schrieb der noch die beachtlichen, jedoch minder erfolgreichen Operetten…“. Die Betonung liegt auf „beachtlichen“, doch heutzutage beachtet sie keiner mehr. 

Die Operette des Folgejahres hieß Donna Juanita, wieder mit dem Textbuch von Zell und Genée. Dem Textbuch wurde in erster Linie angekreidet, dass es geradezu eine Kopie von Fatinitza darstelle. Gewiss - wieder haben wir eine Frau, eine Sängerin, die einen Mann darstellt, der eine Frau darstellt. Und wieder haben wir kriegerische Handlungen, diesmal zwischen den revolutionären Franzosen und den reaktionären Engländern, und zwar in Spanien. Zur Musik schrieb der Suppé Biograph aus der ehemaligen DDR, Otto Schneidereit:

Suppé gelang eine ausgezeichnete Musik, die in vielen Teilen durchaus spanisch klingt, keinen spanischen Rhythmus vermissen lässt vom Bolero bis zur Habanera und sogar maurische Melodik verwendet.

In seinem nächsten Satz relativiert er aber diese Aussage wieder:

Im Ganzen war die Musik schwächer als die der vorigen Operetten; hinter der großen Gebärde steht nichts Gleichwertiges an melodischem Einfall und handlungsgemäßer Grundlage.

Sicher ist Donna Juanita kein Boccaccio, auch keine Fatinitza. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass Boccaccio eines der Spitzenwerke der klassischen Operette darstellt und davon gibt es gerade mal eine Hand voll. Eine Kritik anlässlich der amerikanischen Uraufführung meinte: 

(Die Musik) enthält wenig, was beim ersten Hören zugkräftig wäre und ebenso wenig von einem dauerhaften Wert.

Dem kann ich nicht zustimmen. Die Musik hat durchaus einige Spitzen zu bieten.


Petrita ist die Schwester eines spanischen Gastwirtes im spanischen San Sebastian, das im Jahre 1796 während der französisch/englischen Kriegshandlungen um die Vorherrschaft in Spanien von den Engländern besetzt ist. Sie begrüßt die Gäste in der Schänke mit einen Lied über den feurigen spanischen Wein, der auch den Mut befeuern soll, um sich gegen die Besatzer zu wehren. Sie ist in den Gefangenen Gaston Dufaure, Capitän im französischen republikanischen Heer verliebt, der als Offizier auf Ehrenwort Freigang hat. 

Suppé hat auch bei Donna Juanita wieder den bewährten Mix aus opernhaftem und Elementen des Volkstheaters beibehalten. Das hat ihm von dem gefürchteten Kritiker Eduard Hanslick, seit Anbeginn schärfster Gegner Suppés, den Vorwurf eingetragen, dass diese Operette wie die "meisten Wiener Operetten Verdi und Meyerbeer ernstlich nachäffen", dann aber wieder "jeden Augenblick in die trivialste Jodlerei hinab[springen]."


Don Pomponio, der Alkalde von San Sebastian und Sir Arthur Douglas, der englische Kommandant, sind die beiden Possenfiguren in dieser Operette. Sie singen: ihr jeweiliges Amt sei schwer, denn sie sind nicht populär. Ich bin nicht der Meinung, dass man dieses Duett als Jodlerei abtun sollte. Der kunstvolle Wechselgesang der beiden ist mindestens gehobenes Volkstheater. 

René, ein Bruder des Gaston und ebenfalls beim französischen Militär, hat sich als Eseltreiber verkleidet durch die feindlichen Linien geschlichen und sucht nun seinen Bruder auf. Er erzählt, dass er, nachdem er sich im Scherz in Frauenkleidern als Donna Juanita verkleidet seinem Vorgesetzten ein Rendezvous gegeben hatte, zu Strafe auferlegt bekommen habe, als Spion in Spanien zu agieren. Petrita kommt hinzu, als er seinen Bruder umarmt. Da sie ihn aber nur von hinten sieht hält sie ihn aufgrund seiner zarten Figur für ein Weib. Eifersüchtig verrät sie ihn an die den Spion suchenden Schergen. Als Petrita aber klar wird, dass er/sie gehängt werden soll, schlägt ihr das Gewissen und sie bittet mit dem Hinweis, dass der verkleidete Eseltreiber doch ein Weib sei, um Gnade. René nützt diese Aussage geschickt, indem der zugibt, er sein von schwachem Geschlecht, komme verkleidet aus Madrid und bringe wichtige Nachricht mit. Im Nu verdreht er den beiden Honoratioren den Kopf und wird fortan als Donna Juanita in die bessere Gesellschaft der Stadt aufgenommen. 


In dieser russischen Produktion wird die Rolle des René, die ebenfalls als Hosenrolle angelegt ist, von einem Tenor gesungen. Dabei ist hier die Hosenrolle aufgrund des erotischen Spiels mit den Geschlechtern beinahe noch zwingender als in Fatinitza oder Boccaccio

Der Gascogner, die Operette des Jahres 1881 ist die wohl geheimnisvollste von Suppé, und zwar in mehrerlei Hinsicht. Zum einen ist es der Stoff selbst, entnommen dem Roman Das Teufelsschloss von Eugène Sue, des französischen Romanciers und "Erfinders" des Fortsetzungsromans in Tageszeitungen. Geheimnisumwittert auch die Entstehung der Operette. Keiner seiner bisherigen Biographen wusste zu berichten, dass der Librettist (und Komponist) Richard Genée den gleichen Stoff selbst schon einmal 1856 für seine Oper Polyphem oder ein Abenteuer auf Martinique vertont hatte. Erst sein Nachfahre Pierre Genée hat diese Tatsache in seiner jüngst erschienenen Biographie über seinen Vorfahren beschrieben. Und völlig geheim, weil in der Versenkung verschwunden, ist auch die Musik, von der man heute, außer einer selten aufgenommenen Ouvertüre und des einzigen, nachfolgenden Beispiels nichts mehr kennt. Immerhin habe ich noch aus einem alten Klavier-Notenheft aus dem Jahre 1925 zwei Titel daraus gefunden.


Dieses Walzerlied findet sich in der dreiaktigen Banditenstreiche-Neubearbeitung, aber nur in der erweiterten Bühnenfassung. Es ist aber bereits ein Konglomerat aus zwei Operetten Suppés; nur die Themen 1-3 stammen aus dem Gascogner, das 4.und 5. Thema stammt aus Donna Juanita.
Otto Schneidereit bezeichnete die Musik als die zum Interessantesten gehörend, was Suppé bis dahin geschaffen habe, jedoch hafte der Komposition zuweilen eine Ernsthaftigkeit an, welche das Publikum eher befremdete als begeisterte. Auch die zeitgenössische Kritik, welche die Musik zumeist positiv beurteilt, weist immer wieder auf die Opernhaftigkeit des Werkes hin. Im Klavierauszug finden sich aber auch viele humoristische Titel, dennoch hat dieses Werk nicht die Popularität erreichen können wie die anderen großen Operetten Suppés. 

Über Suppés nächste Operette Herzblättchen aus dem Jahre 1882 gibt es nicht viel zu berichten, denn sie war ein Reinfall und zwar dergestalt, dass das Wiener Carltheater, bei welchem Suppé seit 1864 fest angestellt war und das, bereits in finanziellen Schwierigkeiten, sich große Hoffnungen auf eine erfolgreiche Suppé-Operette gemacht hatte, Konkurs anmeldenden musste. Suppé hatte bereits schon vorher seinen Vertrag gelöst und arbeitete nunmehr im Alter von 63 Jahren erstmals selbstständig. Das schwache Libretto hatte der Direktor des Carl Theaters übrigens selbst geschrieben und über die Musik schrieb die Presse "Der Text ist aber auch ganz danach angethan, um in dem Kopfe eines Componisten einen bethlemitischen Ideen-Kindermord anzurichten."

Die Afrikareise aus dem Jahre 1883 war dagegen wieder ein Erfolg, sogar ein ungeheurer, wie ein Suppé nicht wohlgesonnener Kritiker der Wiener Zeitung zähneknirschend einräumen musste. Und ein wohlwollender Kritiker meinte sogar ernsthaft, Suppé habe mit dieser Operette alle seine Rivalen in den Schatten gestellt. Bei der ersten Aufführung in Berlin wurde die Begeisterung des Publikums vermerkt, das "bereits im ersten Akt so viel wiederholt haben wollte, dass man das Gefühl hatte, es wolle die ganze Operette zweimal gesungen haben." Und das Hamburger Fremdenblatt fand sogar nach der Hamburger Premiere im März 1884, dass "Suppé der genialste und schöpferischste unter allen jetzt lebenden Operettenkomponisten" sei. 

Mit der Afrikareise hat Suppé, dem Titel zum Trotz, seine wohl "wienerischste" Operette geschrieben. Noch 1924 schreibt die Wiener Zeitung, die bei der Uraufführung noch kein gutes Haar an der Operette gelassen hatte, angesichts der Tatsache, dass die neueren Operetten bereits erste Jazz-Elemente aufgenommen hatten: 

Nach den zum Überdruss genossenen Java, Jimmys und Steps wirken die Walzer, Märsche, ja selbst alte Polkalieder geradezu erquickend; man freut sich des Melodien- und Ideenreichtums der kraftvollen Ensemblechöre und Finales, dieser Fülle berauschender Musik, die aus einer solchen Operette wie Die Afrikareise herausgeschöpft werden kann.

Warum die Afrikareise dann in Vergessenheit geriet, ist eigentlich nicht zu erklären. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass von Anbeginn an das Textbuch stark kritisiert wurde, vor allem die miserablen Gesangstexte. 

Von „der Fülle berauschender Musik“ kann man sich heute nur noch ein sehr eingeschränktes Bild machen. Es gibt neuerdings eine konzertante, aber amateurhafte Gesamtaufnahme, bei der man das eher erahnen kann. Der einzige Einzeltitel daraus ist im nachfolgenden Beispiel zu hören:


Auf der Marco Polo CD „Franz von Suppé- Ouverturen Vol. 4" gibt es eine Ouvertüre, welche, was das Booklet verschweigt, von Paul Lincke arrangiert wurde – Suppé selbst hatte nur ein kurzes Präludium geschrieben. Wie man an anderen Beispielen vergleichen kann (z. B. der CD "Franz von Suppé - Marches - Waltzes – Polkas" desselben Labels) hat sich Lincke bei der Instrumentation wohl an‘s Suppé‘sche Original gehalten. Die Ouvertüre ist im Unterschied von Suppés Original-Ouvertüren ganz im Potpourri Stil gehalten, was uns jetzt aber entgegen kommt, denn so erhalten wir eine recht umfangreiche Melodienfolge dieses Werkes.


Zu erwähnen sei noch, dass auf der CD der Banditenstreiche-Neubearbeitung (Label Walhall oder Line) das gesamte 2. Finale aus der Afrikareise übernommen wurde, allerdings mit einigen Streichungen und Umstellungen.

1885 komponierte Suppé die romantische Oper Des Matrosen Heimkehr im Auftrag des Direktors des Hamburger Stadttheaters. Leider erwies sich das Libretto als völlig undramatisch, so dass die Musik hauptsächlich im Lyrischen verhaftet bleibt. So spricht den eine heutige Rezension von einem „…komplett bühnenuntauglichem Werk mit teils überraschend schöner Musik…". Auf YouTube gibt es eine komplette szenische Aufführung anlässlich des Sommer-Festivals in Split 2013 und es gibt eine Gesamtaufnahme auf CD in italienischer Sprache. Beide Produktionen sind nicht miteinander identisch.

1887 wandte sich Suppé mit Bellmann wieder der Operette zu. Es ist eine Geschichte um den schwedischen Dichter Carl Michael Bellman, das Libretto stammt von Moritz West und Ludwig Held, den späteren Verfassern des Vogelhändler. Leider gibt es von diesem Werk, außer einem recht beliebigen Marsch keine Einspielung. Suppé-Biograph Roser spricht von einer qualitätsvollen Musik, der keineswegs nachlassende Inspiration vorzuwerfen sei. Nach seinen Angaben gefiel diese Musik bei der Uraufführung mit Ausnahme der (immer mosernden) "Wiener Zeitung" der gesamten Presse sehr. Es gab kaum eine Nummer, die den Rezensenten nicht besonders aufgefallen wäre. Wenn man die Inhaltsangabe und die Aufzählung der einzelnen Musiktitel vor Augen hält, gewinnt man allerdings den Eindruck, als sei es den beiden Librettisten nicht gelungen, das doch arge Lotterleben des Dichters Bellman, das sich auch in seinen Liedern wiederspiegelt, in ähnlicher Weise in die Handlung zu integrieren, wie das Zell/Genée in so genialer Weise mit einigen der Novellen des Boccaccio getan haben.

Franz von Suppés letzte vollendete Operette aus dem Jahre 1888 hieß Die Jagd nach dem Glück. Aus heutiger Sicht stellt sie einen "krassen Rückschritt in die Zeit der Besserungsstücke um die Mitte des 19. Jahrhunderts" dar. 

Bevor Graf Rudolf Wilfried die Tochter seines Adoptivvaters heiraten soll, will er sich nochmals richtig austoben. In Paris verliebt er sich in eine Kokotte, von der er, nachdem sein Geld ausgegangen war, verlassen wird. In Schweden kämpft er im Heer Karls des XII. und wird zum Oberst befördert, aber ein schneller Friede beendet vorzeitig seine Karriere. In Venedig läuft er einer maskierten Spanierin hinterher, muss aber nach der Demaskierung feststellen, dass sie eine Matrone ist. Nachdem er dann genug von seinen Abenteuern hat, kehrt er zu seiner Braut zurück, die ihm überall hin gefolgt war und ihn beschützt hat.

Merkwürdigerweise schien sich die Wiener Presse, deren Kritiken fast durchweg positiv sind, an diesen Sujet nicht zu stören. Da die Handlung wenig Anlass für dramatisches Geschehen bietet, suchte Suppé sein Glück im eher lyrischen Ton, wie zuvor schon in seiner Oper.

Zur Beurteilung der Musik kommt uns der Umstand zugute, dass die Autoren der 3-aktigen Neubearbeitung der Banditenstreiche einen großen Teil der nicht zum Original gehörenden Musik aus der Jagd nach dem Glück entnommen haben. Ein beinahe originalbelassener Titel beschreibt sowohl in Banditenstreiche als auch in der Jagd nach dem Glück die gleiche Situationskomik in einem Quintett.


In der erweiterten Bühnenfassung der Banditenstreiche-Neufassung singt Lidia im dritten Akt eine Romanze mit dem Titel "Wie schlägt mir das Herz so bange". Diese Romanze ist der Nr. 13 der Jagd nach dem Glück entnommen, die dort von Rudolf gesungen wird mit dem Text "Muss ewig ich dein gedenken" und mit dem er erstmals sich wieder schmerzlich an seine verlassene Verlobte erinnert.

 
Eine zeitgenössische Kritik hebt insbesondere die Musik des dritten Aktes hervor:

Am gelungensten dünkt uns der dritte Akt, der auch beim Publikum am meisten einschlug. Kein Wunder, derselbe spielt "in dem Lande, wo des Componisten Wiege stand" und es pulsiert darin auch echtes südländisches Blut. Ein melodisches Tonstück reiht sich bei dieser tollen venezianischen Carnevalsnacht an die andere, so daß man nicht recht weiß, welchem man den Vorzug geben soll.

Aus diesem dritten Akt haben die Bearbeiter der Banditenstreiche allerdings nur die Tarantella übernommen, die im Original einen völlig anderen Text hat und das tolle Treiben der Figuren aus der italienischen Commedia dell'arte beschreibt.


Sieben Jahre lang schrieb Suppé keine weitere Operette mehr. Etwa ab 1889 machten sich gesundheitliche Probleme bemerkbar, die letztlich in einem Krebsleiden mündeten. Trotz fortschreitender Krankheit begann er aber 1895 nochmals die Arbeit an einer Operette mit dem Titel Das Modell, nach einem Buch von Viktor Léon und Ludwig Held, den zukünftig führenden Librettisten der nachfolgenden sogenannten "Silbernen Epoche" der Operette. Nach der Komposition von nur wenigen musikalischen Nummern musste Suppé die Arbeit an dem neuen Werk im März 1895 abbrechen. Er starb am 21. Mai im Alter von 76 Jahren. Die Arbeit am Modell wurde von Julius Stern und Alfred Zamara unter Verwendung der wenigen von Suppé noch fertiggestellten Nummern, einiger Notizen und Musik aus anderen Werken Suppés fortgeführt und ergänzt und so kam es am 4. Oktober 1895 zu einer posthumen Aufführung dieser letzten, aber nicht mehr selbst vollendeten Suppé-Operette.

Vier Jahre nach der Uraufführung lüftete das "Neue Tageblatt" am 20. Februar 1899 das Geheimnis, dass tatsächlich nur fünf Titel aus dem Modell von Suppés Feder stammen sollten, alles andere hätten die Bearbeiter einfühlsam sozusagen nachempfunden. Vergleicht man aber die (ebenfalls nachträglich zusammengestellte) Ouvertüre des Modell mit der Ouvertüre zu Freigeister, so kann man feststellen, dass diese in weiten Teilen identisch sind. Nach derzeitigen Erkenntnissen haben Stern und Zamara neben den fünf Originaltiteln von Suppé und eigenen Kompositionen auch Motive aus der Freigeister-Ouvertüre übernommen.

Mit der Ouvertüre zu Das Modell, die trotz Umarbeitung den Eindruck einer echten Suppé-Ouvertüre erweckt, soll unsere Widmung für Franz von Suppé enden.


Uwe Aisenpreis, 18.04.2019, revidiert 21.06.2021

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