A_Fatinitza Mainz

Fatinitza in Mainz - eine vertane Chance

In den einschlägigen Operettenführer kann man nachlesen, dass Fatinitza eines von Suppés Meisterwerken gewesen sei. Volker Klotz bescheinigt in seinem Werk Operette, Portrait und Handbuch einer unerhörten Kunst: "In der Tat kann Fatinitza sich nach wie vor mit den markantesten Operetten jener Zeit messen, von Offenbach bis Hervé, von Lecoq bis Strauß, von Millöcker bis Sullivan."

Könnte - wenn man sie erstens überhaupt aufführen würde. Fatinitza war bis zum ersten Weltkrieg noch eine der erfolgreichsten Operetten. Mit einer Aufführungszahl von etwa zwölfhundert allein auf deutschsprachigen Bühnen lag das Werk zwischen der Schönen Helena und dem Mikado. Doch eine der herausragenden Eigentümlichkeit dieser Operette, die Hosenrolle für eine Sängerin, die einen Mann spielt, der wiederum eine Frau spielt, ließ sie in neuerer Zeit völlig in Vergessenheit geraten, da Hosenrollen zumindest in der Operette aus der Mode kamen. Was man seit 1911 dem Rosenkavalier bis heute noch zubilligt, wollte man für die Operette nicht mehr akzeptieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es erst 1995 wieder eine Aufführung in Bremen, allerdings ohne besonderen Nachhall und es musste ein weiteres Jahrzehnt vergehen, bis diese Operette anlässlich des Lehár-Festivals in Bad Ischl im Jahre 2006 sozusagen wiederentdeckt wurde.

Könnte- wenn man sie zweitens ihrer Qualität angemessen aufführen würde. Ob das Mainzer Staatstheater die Anregung zur Aufführung dieser Operette in der Saison 2012/2013 aus Bad Ischl erhalten hat, dessen Inszenierung vorwiegend gute Kritiken erhielt, ist nicht bekannt. Jedenfalls hat es sich nicht an die dort eher brave, aber werkgetreue Inszenierung gehalten, sondern mit einer unflätigen Regietheater-Inszenierung ein Experiment im Experiment gewagt.

Doch vielleicht einiges Positives zuerst. Die Macher haben am Szenenablauf und damit auch an der Musiknummernfolge so gut wie nichts verändert. Vielleicht ein Verdienst des musikalischen Leiters Florian Csizmadia, der, wie einem Interview im Programmheft zu entnehmen war, sich bemühte, der Musik Suppés gerecht zu werden. Allerdings hat er im Unterschied zum teils doch arg kritisierten Dirigenten der Bad Ischeler Aufführung ("biedermeierlich…tranige Tempi") das Tempo kräftig angezogen - hat eine, wie es einer der Besucher der Aufführung ausdrückte, schmissige Musik hingelegt, was aber manchmal auch zu einigen Schlampigkeiten geführt hat.

Die Inszenierung dagegen war bek(n)ackt. Man könnte das "n" in Klammer auch durchaus weglassen, denn noch derber wie das daraus resultierende Wort war die Inszenierung. Die derbe Zotigkeit beginnt schon in der Introduktion. Statt einer im Original vorkommenden Schneeballschlacht bewerfen die russischen Kadetten nach dem Wecken ihren Sergeanten mit verschmutzen Kleenex-Tüchern, nachdem sie zuvor im Chor onaniert hatten. Und solche direkten sexuellen Übergriffe ziehen sich durch die gesamte Inszenierung. Im großen Duett des 2. Aktes, in welchem der als Fatinitza verkleidete Wladimir seiner angebeteten Lydia am Ende gesteht, dass er ein Mann ist, tut er dies, indem er ihre Hand in seinen Schritt führt. Es gäbe noch weiteres in dieser Art zu berichten, doch es lohnt sich nicht. Eine Besucherin der Aufführung bemerkte in der Pause, wenn es zu arg werde, mache sie einfach die Augen zu und genieße die Musik, denn die wäre hinreißend. Besser kann man diese Inszenierung in nur einem Satz nicht charakterisieren.

Auch die "Komik" dieser Inszenierung funktioniert nicht. Eine Besonderheit dieser Operette ist ja die Tatsache, dass eine Frau (ein Mezzosopran) einen Mann darstellt, der auf der Bühne wiederum eine Frau spielt, ähnlich wie vordem schon Cherubino im Figaro oder nachdem Ocatvian im Rosenkavalier. Der Einfall der Regisseurin, diese Verkleidung jetzt männlich-hässlich zu machen, indem man der Darstellerin künstliche Brust- und Beinhaare angeklebt hat, mag ja auf den ersten Blick noch lustig sein, kann aber nicht den ganzen Abend durchhalten, zumal es nicht einsichtig ist, wie sich in so einen Charly's-Tante-Verschnitt der General Hals über Kopf verlieben kann bzw. die Haremsdamen Wladimirs/Fatinitzas Beteuerung, er sei ein Mann, nicht glauben können. Es wurde dann auch während der Aufführung gar zu selten gelacht. Die Idee, aus Julian, im Original ein Reporter aus der Anfangszeit des Journalismus einen sensationsgeilen Fernseh-Moderator zu machen, mag ja noch angehen. Aber aus dem türkischen Harem eine Privat-Kellerbar und aus Izzet Pascha einen rheinhessischen Provinzler im Trainingsanzug zu machen, ist einfach nur blöd.

Suppés Operetten galten zur Zeit ihrer Uraufführung immer als frivol, wobei sich die Frivolität in erster Linie auf die Anhäufung von Hosenrollen und möglicherweise auf mehr oder weniger diskrete Andeutungen in Bezug auf "die Lust in meiner Brust" bezog. Man könnte nun einwenden, dass man heutzutage zu solch drastischen Mitteln greifen muss, um die Frivolität von damals ins Heute zu transportieren. Aber es ist kaum anzunehmen, dass die junge, und erst seit 5 Jahren in Deutschland lebende Amerikanerin Lydia Steier, die für diese Regie verantwortlich ist, sich überhaupt jemals solche Gedanken über die klassische Wiener Operette gemacht hat. Wie aus einem Interview mit ihr im Programmheft hervorgeht, bezieht sie ihre drastische und sexistische "Komik" aus dem amerikanischen Musical - möglich, dass man dort in manchen Stücken mit solchen Methoden gegen die heuchlerische Prüderie amerikanischer Tea-Partyaner ankämpft.

Mit solch rüden Methoden wird es nicht gelingen, dieses Meisterwerk der Vergessenheit zu entreißen. Insofern hat die Intendanz des Mainzer Staatstheater den Werken Suppés einen Bärendienst erwiesen. Das Mainzer Publikum hat jedenfalls kein so starkes Interesse gezeigt, dass die Operette über die 13 Vorstellungen in der Saison 2012/2013 hinaus zu einer Wiederaufnahme gebracht hätte. Nach diesem Misserfolg besteht die Gefahr, dass damit Fatinitza wohl endgültig zu Grabe getragen wird - es sei denn, es findet sich ein Regisseur, der versucht, es besser zu machen (die Hoffnung stirbt bekanntlich ja zuletzt).

Uwe Aisenpreis, 18.12.2013
Pressestimme

Am Staatstheater Mainz scheitert Regisseurin Lydia Steier an der Wiederentdeckung von "Fatinitza". Dabei ist diese Operette eine musikalische Kostbarkeit.

[...]Der Krieg als Folie fürs Absurde, mit Nadelstichen gegen Militär und Chauvinismus, dazu ein erotisches Verwirrspiel: Daraus ließe sich szenisch viel machen. Die amerikanische Regisseurin Lydia Steier verspielt in Mainz diese Chance jedoch grundlegend. Den Reporter Julian van Golz wertet sie zur Zentralgestalt auf und lässt Darsteller Thorsten Büttner als Korrespondenten für einen ganz heutigen Sender namens "ZEF" in Sachen Humor so allein wie das ganze Ensemble.

Papp-Brüste auf Choristen, platte, laue Gags zur aktuellen politischen Lage, ein Sergeant (Jürgen Rust) mit Huhn auf dem Arm, ein türkischer Gouverneur (Alexander Spemann), der Meenzerisch plaudern muss, um Pointen verlegene straffe Jungs: Nichts, aber auch gar nichts zündet hier, und nur weil einer "Wiesbaden" sagt, wird selbst in Mainz noch kein Witz daraus. Schade, denn Suppés zwischen besonders pfiffigem Walzer-Charme, Marsch-Grotesken und italienischem Belcanto-Stil changierende Musik hat große Reize, die Kapellmeister Florian Csizmadia mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz knackig herausarbeitet. Vida Mikneviciute bietet als Lydia starke Sopran-Spitzen, Patricia Roach changiert auch vokal herrlich zwischen Wladimir und "Fatinitza". Doch kann das die szenisch missglückte, von zahlreichen "Buh"-Rufen für die Regie quittierte Premiere letztlich nicht retten.

Axel Zibulski

Quelle: Frankfurter neue Presse, 08.11.2012
Aus Gründen der Ausgewogenheit hier auch noch eine wohlwollendere Kritik:
Pressestimme

[...]Was auf den damals noch im Bewusstsein präsenten russisch-osmanischen Krieg in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts anspielt, hat Steier an die heruntergekommene Peripherie des heutigen Russlands verlegt. Kyrillische Schriftzüge über den Blechbuden preisen Pizza und Piroggen an, auf den T-Shirts der Kadetten ist Einheitliches Russland zu lesen. Die Kalaschnikow ist als sowjetrussischer Exportschlager schlechthin auch hier (und sogar mal passend) das militärische Hauptrequisit. (...)

Nun ist es sicher nicht jedermanns Geschmack, wenn gleich zum Auftakt der verkleidete Damenchor russische Kadetten beim Onanieren mimt, und auch sonst bei jeder Gelegenheit rumgezotet wird. Oder wenn der Reporter vom ZEF den Kriegsberichterstatter gibt und von Guttenberg bis Griechenland alles drin ist, was auch sonst über die Mattscheiben flimmert. Doch so beherzt wie Steier sich über die Regeln der politischen Korrektheit hinwegsetzt, einen flapsig babbelnden Wohlstandsdeutschen zum Haremsbesitzer (Alexander Spemann als Izzet Pascha) macht, und wie sie dessen Barkeeper und rechte Hand und die beiden Jungs des Russengenerals zu bauchfrei uniformierten Tunten aufputzt, überhaupt jeden überzeichnet und kräftig zulangt, so kommt sie dem subversiven Charakter, den die Operette einst hatte, ziemlich nahe. Wenn auch auf dem Umweg über die etwas derbe Vergegenwärtigung. Zugegeben - das hat mehr mit Wodka, als mit Champagner zu tun. Aber wegen der exzellenten Protagonisten und zusammen mit der fabelhaften Musik funktioniert es über weite Strecken, ohne die Aura der Operette zu verraten.

Joachim Lange

Quelle: wetterauer-zeitung
Share by: